Wie attraktiv ist die Region?

Die Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg verfügt trotz beachtlicher Erfolge noch nicht über eine ausreichende Wirtschaftskraft, um die Arbeitslosenquote weiter zu senken und die kommunalen Haushalte zu konsolidieren … Ob die bestehende Infrastruktur für die wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung in der Planungsregion Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg ausreichend attraktiv ist und welche weiteren Maßnahmen darüber hinaus unterstützend wirken, untersuchten Wissenschaftler des Institutes der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH im Auftrag der Planungsgemeinschaft Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg.
[Text stark gekürzt]

Manfred Piotrowsky
Manfred Piotrowsky


werk·stadt fragte Manfred Piotrowsky, Geschäftsführer der IHK Halle-Dessau, Geschäftsstelle Dessau ... ob die Verkehrsinfrastruktur eine wichtige strukturbestimmende Bedeutung für die Entwicklung einer Region hat?


Eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur war schon immer ein Erfolgsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region. …  Aus den Beispielen der Geschichte ist erkennbar, dass bedeutende Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung durch eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur begünstigt werden.


Welche Infrastruktur braucht heute unsere Region, um die Wirtschaftskraft stärker zu entwickeln? … Trotz aller Erfolge in den letzten zwanzig Jahren müssen wir insbesondere die infrastrukturellen Lücken schließen, um wettbewerbsfähig zu sein. Dabei ist uns bewusst, dass eine hervorragende Infra­struktur allein nicht ausreichend für eine erfolgreiche Entwicklung ist. Aber ohne die Infrastruktur geht gar nichts.


Welche infrastrukturellen Engpässe müssen in der Region beseitigt werden? Unsere Region ist im Straßennetz durch die Autobahnen A9 und A14 exzellent in nord-südlicher Richtung angebunden, liegt aber im Verkehrsschatten des Harzes. Eine direkte Ost-West-Verbindung fehlt. Hier schließt die B6n eine wesentliche Infrastrukturlücke … Mit der Fertigstellung der B6n werden die Stadt Köthen sowie deren Gewerbegebiete und die Industriegebiete im Umfeld der Stadt, insbesondere Weißandt-Gölzau, eine wesentlich bessere Verkehrsanbindung erhalten. … Mit Fertigstellung der B6n wird ein großes Verkehrsdefizit unserer Region beseitigt. Für den Raum Köthen ergeben sich bessere Chancen. Und für Touristen wird unsere Region entlang der vier Weltkulturerbestätten noch besser erreichbar sein.


Wann wird die B6n voraussichtlich bis zur A9 fertiggestellt sein?
Die B6n … hat nach … über zwölfjähriger Bauzeit von Westen kommend die A14 bei Bernburg erreicht und wird hoffentlich Ende 2018 südlich von Dessau an der A9 angekommen sein. Dann steht den Verkehrsteilnehmern eine leistungsfähige Bundesfernstraße quer durch Sachsen-Anhalt auf etwa 127 km zur Verfügung.


Gibt es weitere Defizite in der regionalen Verkehrsinfrastruktur?
Ja, denn die Straßenanbindung unserer Region in Richtung Osteuropa ist unzureichend. Bisher existieren die beiden Verkehrstrassen im Süden nur über Dresden und Görlitz und im Norden über Berlin und Frankfurt (Oder). Während der Neubau
der B6n insbesondere den Raum Köthen erheblich besser an die Bundesautobahnen A14 im Westen und A9 im Osten anbinden wird, haben die geplanten Baumaßnahmen im Rahmen der B187 das Ziel, die Gebiete östlich der A9 besser an das Fernstraßennetz anzubinden. … Ein weiteres infrastrukturelles Defizit ist die Verbindung von Holzdorf über Jessen und Wittenberg zur A9 …


Neben einem optimalen Straßennetz sind für Unternehmen auch die Verkehrswege auf der Schiene, dem Wasser und in der Luft wichtig. Wie ist hier die Situation?
Die Anbindung der Region an das Verkehrsnetz der Bahn wird in der Studie, was die Quantität betrifft, als gut und ausreichend bezeichnet. Ein qualitatives Defizit besteht jedoch, da nur Bitterfeld-Wolfen und die Lutherstadt-Wittenberg direkt an die ICE-Strecke Berlin-Leipzig angebunden sind und somit über eine relativ gute Fernnetzverbindung verfügen. Das Oberzentrum Dessau sollte eine ICE-Anbindung erhalten, wird empfohlen.
Im Güterverkehr werden die vorhandenen Potenziale gut eingeschätzt. Gerade auf diesem Gebiet hat es enorme Veränderungen durch den Transformationsprozess gegeben. Rund 80 Prozent der Anschlussbahnen zu Unternehmen sind in den 90er Jahren gekappt worden, weil die Nachfolgeunternehmen nicht mehr das entsprechende Transportaufkommen hatten oder andere Transportwege präferierten.
Die Städte Dessau-Roßlau und Wittenberg liegen an der Elbe und damit an einer internationalen Wasserstraße, die in das transeuropäische Verkehrsnetz eingebunden ist. Die drei Häfen in Aken, Dessau-Roßlau und Wittenberg bilden dabei die Schnittstellen zu diesem Verkehrsträger. Während der Hafen in Wittenberg ausschließlich vom SKW Piesteritz genutzt wird, sind die Häfen Aken und Dessau-Roßlau zu einer bedeutenden Schnittstelle des trimodalen Güterverkehrs geworden, der eine ökonomische und umweltverträgliche Verteilung von Gütermengen erlaubt. Der Hafen Aken hat sich in den letzten zehn Jahren als ein hervorragender Dienstleister für Unternehmen entwickelt, der nicht nur Waren umschlägt, sondern die gesamte Transportkette managt – vom Ausgangs- bis Zielort.…
Bei der Anbindung an den Luftverkehr profitiert die Region von ihrer Nähe zum Flughafen Leipzig-Halle, der sich in den letzten Jahren zu einem international bedeutenden Logistikdrehkreuz entwickelt hat. Vor allem Transport- und Logistikunternehmen haben sich in der Nähe des internationalen Frachtdrehkreuzes angesiedelt. Dessau-Roßlau hat zudem noch einen eigenen Verkehrslandeplatz, der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geöffnet ist.

Neben dem Standortfaktor Verkehr wurde die Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen untersucht. Welche positiven Ergebnisse wurden in der Region attestiert? Zu den Stärken gehört beispielsweise, dass unsere Region vor allem eine hohe wirtschaftliche Entwicklungsdynamik über einen langen Zeitraum aufweist. Bei den Wachstumsraten der Wirtschaftskraft und bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit muss sich die Region nicht hinter den Ergebnissen vergleichbarer Standorte, insbesondere im Osten der Bundesrepublik, verstecken. Durch die vorhandene Wirtschaftsstruktur mit den Chemieunternehmen, produktionsnahen Dienstleistern, aber auch durch die regenerativen Energien und die Logistikbranche sind neue Unternehmen mit einem hohen Wachstumspotenzial in der Region entstanden.
Trotz der positiven Dynamik hat die Region im Ist noch immer ein durchschnittliches wirtschaftliches Niveau und weist große Defizite im Bereich der Bildungs- und Innovationsinfrastruktur auf. Hinzu kommt, dass die Region in der Vergangenheit vor allem durch die hohe Verfügbarkeit von Arbeitskräften und die guten Förderbedingungen profitieren konnte. Durch den demografischen Wandel und Reduzierung der Fördergelder werden diese Erfolgsfaktoren der Standort- und Ansiedlungspolitik zukünftig an Einfluss verlieren. Zukünftig werden qualitative Standortfaktoren wie Kooperationsmöglichkeiten, Innovationsinfrastruktur und die Lebensbedingungen eine größere Rolle im Wettbewerb um Unternehmensinvestitionen spielen.

Das Ergebnis der Studie kann man in folgenden Punkten zusammenfassen:
1. Die vorhandenen Lücken im Verkehrsnetz sollten schnellstmöglich geschlossen werden und besonders bei der Fertigstellung der B6n sollten nicht noch weitere Jahre verstreichen.
2. An der Profilierung der Region muss konsequent gearbeitet werden, um sie nach außen als Ganzes wahrnehmbarer zu gestalten. Dafür werden gemeinsame Strategien und Schlüsselprojekte empfohlen, die unbedingt verfolgt werden sollten. Vor allem muss eine bessere Identität und mehr Bekanntheit durch ein gemeinsames Regionalmarketing aufgebaut werden, um die Planungsregion als Ganzes wahrzunehmen und nicht nur einzelne Landkreise oder Städte abzubilden.
3. Rückblickend kann man feststellen, dass die Mobilität immer ein treibender Faktor für Fortschritt, Innovation und wirtschaftliche Entwicklung sowie Wohlstand war und ist.


Aus der Studie sind folgende Maßnahmen (siehe Grafik) zur Erhöhung der Standort-Attraktivität für die Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg empfohlen worden. 
Ute Hirsch